die Deutsche Literatur
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Märendichtung
YOSHIHIRO MORI
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1986 Volume 77 Pages 60-68

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Abstract

Bei der Beschäftigung mit der Schwankliteratur fällt auf, daß dasselbe Werk bald "mære“ sachlichen Geschlechts, bald "Schwank“ genannt wird. Der Unterschied zwischen Märe und Schwank ist unklar, auch der Begriff des Märes selbst. Aber seit den grundlegenden Studien von Hans Fischer (1968) hat sich das Märe oder die Märendichtung als Gattungsbezeichnung durchgesetzt. Im folgenden widme ich mich darum Texten, die Fischer seiner "Märe“-Definition zufolge in alphabetischer Reihenfolge geordnet hat.
Aus der Untersuchung von 212 Mären (ausgenommen 8 Fragmente), die Fischer zugrunde legt, ergibt sich, daß sie in bezug auf Themen, Personen u.a. charakterisiert sind, und daß sich ihre Eigentümlichkeit mit der Zeit verändert. Man findet zum Beispiel nur in der frühen Zeit den Themenkreis der treuen Minne ("Das Herzmäre“, "Das Auge“ etc.), und in späteren Mären tritt nur selten der Ritter als Held auf, und selbst die Ansichten über dieselbe Handlungsart unterscheiden sich bisweilen mit der Zeit. Man kann das auch bei den zwei Fassungen A und B des Werkes "Der halben Birne“ sehen. Beide sind mehr als nur Varianten voneinander; A ist um 1300 von Pseudo-Konrad von Würzburg und B um 1488 von Hans Folz geschrieben worden. Die beiden Handlungen sind fast gleich, aber B ist etwas fiktiver als A. Trotzdem sind die letzten Epimythionen sehr verschieden. Während A belehrt, daß Frauen und Männer stets Anstand und Sitte wahren sollen, versucht Folz in B aus der Perspektive allgemeiner Tugend verständlich zu machen, "was schanden pringt, die leüt verachten“. Des weiteres ist er der Ansicht, daß die Frau nicht hochnäsig und spottsüchtig werden sollte. Das Epimythion von A ist eine Belehrung für das Patriziat; das Ritterschaftliche ist nur Vorwand. Dagegen behandelt Folz in B nicht ein Problem einer bestimmten Klasse, etwa der Ritterschaft oder des Patriziats, sondern die Durchschnittsmoral aller.
Beim Studium der Mären muß man mehr als sonst die Zeit, in der sie geschrieben worden sind, berücksichtigen. Sie spiegelt sich in den Mären, deren Gegenstand ja "fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit schließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge“ sind. Ich versuche, die Texte aus Fischers Märenzusammenstellung eingehender unter dem Gesichtspunkt der Zeit zu betrachten, wobeiich mich auch an Karl-Heinz Schirmers Texttypeneinteilung halte; dieser behandelt die Mären im Blick auf die später sich entwickelnde Novelle.
Man kann erkennen, daß die Ritterschaft allmählich aus der Märenwelt verschwindet oder immer fiktiver zum Ausdruck gebracht wird. Und wenn das Thema die Untreue ist, wird deren gerechte Bestrafung gefordert: eine bürgerliche, rationalisierende Lösung, wie zum Beispiel in: "Heidin“ oder in: "Gürtel“. Es zeigt sich auch, daß im Gegensatz zu den Schwänken des 16. Jahrhunderts einige spätere Mären des 15. Jahrhunderts, die man eigentlich auch schon zum Gattungsmuster des Schwanks rechnen könnte, statt Belehrung zu geben, nur das Lachen erregen wollen und sich besonders auf sexuell Erotisches beziehen. Das Thema der treuen Minne erscheint nur in früheren Mären, aber die spätere Erzählung kommt darauf unter der Voraussetzung zurück, daß man in der Ehe die Treue halten muß, worin Schirmer "Anteil und Ausdruck des Bürgerlichen“ sieht. Bei den späteren Mären merkt man deutlicher die Absicht, die bürgerlichen Leser zu belehren und aufzuklären.

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