Kotzebue wurde wie keinem anderen Dramatiker seiner Zeit die Gunst des Publikums und die Ablehnung der Kritiker zuteil. Jene machte ihn zu einem unentbehrlichen Mann in der Theaterwelt, diese bewirkte die negative Schätzung oder Ignorierung bei den Literaturhistorikern der Nachwelt.
Sein Publikum bestand nicht nur aus dem Bürgertum, wie oft behauptet worden ist, sondern auch aus Fürsten und dem Adel. In diesem Hinblick ist es unmöglich, seinen enormen Erfolg mit irgendwelchen bestimmten sozialen Bedingungen zu erklären. Wenigstens schrieb er weder für die gebildeten, klassenbewußten Bürgerlichen noch für den
"Pöbel“ oder die
"Masse“, wie die Kritiker Kotzebues Publikum nannten.
Die vom ästhetisch-literarischen Standpunkt aus geübte Kritik machte Kotzebue so sehr zu schaffen, daß er oft darauf polemisch reagierte, indem er sich auf sein Publikum bezog. Um die Jahrhundertwende herume wurde die Kritik-von der klassischen bzw. romantischen Literaturtheorie beeinflußt-immer schärfer, und damit begann sich das gebildete Publikum langsam von Kotzebue zu trennen. Es bildete sich eine Diskrepanz zwischen Literatur und Theater. Man konnte nun im Theater nicht mehr nach Herzenslust weinen oder lachen, ohne sich zu schämen. Das führte zur Geschmacksunsicherheit und-heuchelei.
Die Aufgabe eines Stückeschreibers war für Kotzebue, die Zuschauer einfach angenehm zu unterhalten. Die ästhetische Erziehung des Menschen durch das Theater hielt dieser Publikumskenner nicht für möglich. Ein Schauspiel sollte mehr die Einbildungskraft als den Geist beschäftigen. Diese Theaterauffassung war keine Resignation. Er schlug nämlich angesichts der Uneinheitlichkeit des Geschmacks das Zweitheatersystem in einer Großstadt vor: das eine für die
"natürliche Anmut“, wo man nicht so streng kritisieren sollte, das andere für die
"höhere, idealische Schönheit“, wo die Autoren keinen allgemeinen Beifall erwarten sollten.
Hier möchten wir an zwei dramatischen Satiren,
"Dr. Bahrdt mit der eisernen Stirn oder Die deutsche Union gegen Zimmermann“ (1790) und
"Der hyperboreische Esel oder die heutige Bildung“ (1799), Kotzebues Sinn für das Publikum erforschen.
In
"Dr. Bahrdt“ war die
"Aufklärung“ der Gegenstand der Kritik, und auch in
"Der hyperboreische Esel“ ist
"hohe kritische Aufklärung“ geleugnet worden. Eigentlich sollte die
"Aufklärung“ auf der Sehnsucht nach geistiger Freiheit beruhen, und dennoch konnte der mit den Augen des Alltagsmenschen ausgerüstete Kotzebue nicht umhin, die Grundsätze der Intellektuellen für aneinandergereihte abstrakte Begriffe zu halten, die von dem alltäglichen
"gesunden Menschenverstand“ des durchschnittlichen Publikums abwichen. Hier machen wir die interessante Beobachtung, daß Kotzebue sowohl Aufklärung als auch romantische Idee ganz auf derselben Ebene als am grünen Tisch ausgedacht darstellt. Dem einfachen Volk erschienen die beiden Anschauungen gleich, vielmehr hat es Interesse für das
"dekadente“ Privatleben der Intellektuellen.
Es war Kotzebues großes Verdienst, daß er viele Leute ins Theater lockte, die einzige damals auch dem Bürgertum zugängliche Einrichtung, und ihnen Gelegenheiten zur Unterhaltung über einige gemeinsame Fragen bot. Indem er das Massenpublikum (einschließlich des Adels) unterhielt, führte er auch einen unermüdlichen Kampf-wenn auch manchmal zur Selbstverteidigung-gegen die elitären Kritiker. Seine ganze schriftstellerische Tätigkeit ist durch diese Gegenkritik, die sich von unten nach oben richtete,
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