In der früheren Forschung, die eigentlich mit W. Streitberg begann, wurden die Aktionsarten und die Aspekte in Kategorienfassung und Kategorienbenennung nicht unterschieden. Aber heute scheint die Unterscheidung von objektiver Aktionsart und subjektivem Aspekt unter vielen Fachleuten anerkannt zu sein, obgleich völlige Übereinstimmung in den Einzelheiten noch nicht besteht.
Unter Aktionsarten, die eine Grundlage der Aspekte bilden, verstehen wir zeitliche Arten der Aktion: die got. Verben zerfallen nach ihrer inhaltlichen
Prozeßart in positionale (z.B.
sitan "sitzen“,
pahan "schweigen“,
slepan "schlafen“,
standan "stehen“) und aktionale; diese weiter in zeitlich linienhafte (z.B.
hausjan "hören“,
saihuan "sehen“,
lewjan "verraten“,
meljan "schreiben“) und zeitlich punkthafte (z.B.
qiman "kommen“,
haitan "rufen“,
briggan "bringen“,
giban "geben“). Also kann die Aktionsart entweder linienhaft oder punkthaft sein. Position gilt für keine Aktionsart.
Die Objektivität der Aktionsarten besteht darin, daß der einzelne Sprecher die Aktionsart eines bestimmten Verbs nicht willkürlich verändern kann.
Im Gotischen handelt es sich allgemein um einen Aspekt, wenn ein aktional-linienhaftes Verb vorkommt:
hausjan-gahausjan:
L. 2, 47 usgeisnodedun þan allai þai hausjandans is ana frodein jah andawaurdjam is. Es staunten aber alle, die ihn hörten, über seine Einsicht und seine Antworten.
L. 2, 18 jah allai þai gahausjandans sildaleikidedun bi þo rodidona fram þaim hairdjam du im. Und alle, die es hörten, wunderten sich über das, was von den Hirten erzählt wurde.
saihan-gasaihan:
Mc. 9, 38 se_??_um sumana in þeinamma namin usdreibandan unhulþons. Wir sahen einen in deinem Namen Dämonen austreiben.
L. 9, 49 gase_??_um sumana ana þeinamma namin usdreibandan unhulþons. Wir sahen einen in deinem Namen Dämonen austreiben.
lewjan-galewjan:
J. 18, 5 stoþuh þan jah Iudas sa lewjands ina miþ im. Aber auch Judas, der ihn verriet, stand bei ihnen.
J. 18, 2 wissuh þan jah Iudas sa galewjands nina þana stad. Aber auch Judas, der ihn verriet, kannte den Ort.
meljan-gameljan:
L. 16, 7 nim þus bokos jah melei ahtautehund. Nimm deinen Schuldschein und schreibe achtzig.
L. 16, 6 nim þus bokos jah gasitands sprauto gamelei fim tiguns. Nimm deinen Schuldschein, setze dich und schreibe schnell fünfzig.
In all diesen Fällen findet sich zwischen Simplex und
ga-Kompositum keine objektive Inhaltsverschiedenheit, sondern eine Anschauungsdifferenzierung. Mit dem Simplex sieht der Übersetzer (Sprecher) die Aktion in ihrem Verlauf, der Prozeß der Aktion wird in der Vorstellung des Übersetzers subjektiv ausgedehnt (expansiver Aspekt). Dagegen begreift er mit dem entsprechenden
ga-Kompositum die gleiche Aktion als Ganzes, derselbe Prozeß wird in der Vorstellung des Übersetzers subjektiv verdichtet (kompressiver Aspekt). Dabei aber bleibt die linienhafte Aktionsart an sich unverändert. Also vermag sich der Übersetzer oder Sprecher in zweifach verschiedener Anschauungsweise auf ein und dieselbe Aktion zu beziehen und zwischen zwei Ausdrucksmöglichkeiten zu wählen. Auch darin liegt die Subjektivität des Aspektes.
Es sei bemerkt, daß das Gotische über keine anderen Mittel zum Ausdruck des kompressiven Aspektes verfügt als die Vorsilbe
ga-. Aber bei positionalen und aktional-punkthaften Verben kann von Aspekt-von wenigen Ausnahmen
抄録全体を表示