Im Kreis der post-modernen Literaturtheorie erörtert man oft die Möglichkeit der Dekonstruktion der Subjektivität des Erzählers in der transzendentalen Position. Auch im deutschsprachigen Raum nahmen viele Literaten bereits zu diesem Thema <Destruktion des Subjekts> Stellung, jedoch wagen nur sehr wenige, den Stil ihrer Texte als solchen zu dekonstruieren; der transzendentale Erzähler bleibt immer als etabliertes Formprinzip des Textes. Thomas Bernhard ist ein Autor, der durch die exzentrische Konstruktion des Textes die schwebende Lage des Subjekts in der Struktur der Rede zu demonstrieren versucht hat.
Ein typisches Beispiel seiner dekonstruktivistischen Stilistik findet man in der Erzählung «Gehen». Der erste Satz dieser Erzählung ist von einem anonymen <Ich> erzählt, das im Text nie mit seinem Eigennamen bezeichnet wird. Dieses <Ich> kann im traditionellen Sinne als das transzendentale Subjekt=Erzähler gelten. Jedoch bleibt die Beziehung dieses <Ichs> zu der vorliegenden Geschichte im Dunkeln. Dieses <Ich> wird im Verlauf der Geschichte nur einmal von Oehler, einer anderen Figur in der Geschichte, geduzt. Das ist alles. Der Leser kann nie erfahren, ob dieses Ich transzendental oder an der Geschichte mitbeteiligt ist. Dieses Ich fungiert als Erzähler allein dadurch, daß es die von Oehler mitgeteilte Geschichte über das Verrücktwerden von Karrer wiederholt. Alles, was das Ich erzählt, ist ein Zitat aus Äußerungen der anderen. Vielleicht spricht das <Ich> selbst in einem Zitat eines höheren Subjekts? Das <Ich> fungiert formal als das erzählende Subjekt, aber ihm ist schon die transzendentale Macht der Letztbegründungsinstanz entzogen. Mit der wiederholenden Zitat-Struktur und den willkürlichen Zufügungen durch Nebensätze führt Bernhard den Leser in das Labyrinth von <Realität/Mitteilung/Fiktion>.
Durch diese Stilistik Bernhards erhält man den Eindruck, daß die Welt, in der wir leben, aus einer Reihe von unendlich weiter zu zitierenden Texten bestehe. Bernhard entblößt die Falschheit der Welt, indem er die Struktur der Rede, in der er selbt existiert, dekonstruiert. In seinem autobiographischen Stück «Die Kälte» äußert er, was <Schreiben> für ihn bedeutet. Schon in seiner Jugend fühlte er sich von der <Welt> erdrückt. Die Welt bestehe aus dem Zusammenhang des <Sogenannten>. Dieses <Sogenannte> sei strukturiert im System der Sprache. Solange wir in der Sprache denken und uns selbst mittels der Sprache zum Ausdruck bringen, seien wir unvermeidlich im betrügerischen System der Sprache verschlungen. Bernhard mißbraucht die <Welt>, indem er sie dichtet. In seiner écriture verwandelt sich die <Welt> zu einem <Gedichteten>; das Mißbrauchende wird zum Mißbrauchten. Er läßt die Sprache zeigen, daß für Menschen als sprechende oder schreibende Subjekte der Text als Voraussetzung existiert und der Text sie insofern beherrscht.
Jedoch sieht man schon, daß Bernhards Strategie sehr gefährlich ist. Denn die von ihm mißbrauchte Schrift mißbraucht zugleich auch ihn. Solange Bernhard in einer konventionellen menschlichen Sprache denkt, schreibt und sich verständigt, ist er nicht frei vom Druck der Welt. Er muß sich vor der Rache der Sprache fürchten. Er haßt die Schmeichelei in der Welt. Man schreibt ein Buch, um von der Welt verstanden zu werden. Schreiben ist mit Ruhmsucht verbunden. Wenn der Berufsschriftsteller Bernhard ein Buch wie «Gehen» oder «Die Kälte» schreibt, bedeutet es nicht, daß er den Kontakt mit dem existierenden (Kon-) Text (=Welt) sucht?
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