Die Formaufhebung in der modernen Lyrik, sei es die Deformation der Expressionisten, sei es die Verwandlung der sichtbaren Gestalten ins Unsichtbare, wie sie bei Rilke geschehen ist, enthält wohl eine gewisse Negativität: noch fremd ist uns diese Lyrik oft, scheint Rätsel und Abrakadabra zu sein. Doch ist sie selber somit negativ und problematisch zu bewerten? Die Antwort auf diese Frage geben die dichterischen Persönlichkeiten selbst.
Ernst Stadler war kein Formbrecher, hatte aber Pathos zum Durchbruch und wußte um die Radikalität seines Anrufs:
"Mensch, werde wesentlich!“ In seine überlange Verszeile drängt sich alles herein, was es im Leben gibt, -nicht was schön und gut ist, sondern was ist, und zersprengt so jede Enge des bürgerlichen Bezugs.
Georg Heym enthüllt in der schwarzen Dämonie, wie in dem alles relativierenden Stil des Nebeneinander, dem Additionsstil, den friedlichen Schein der bürgerlichen Wirklichkeit, gegen deren Leere er so zornig reagiert wie sein Kriegsdämon.
In Georg Trakls Lyrik versteht man oft nicht, was sie
"bedeutet“. In der abstrakten Sprache spiegelt sich die Urstimmung des Dichters; sie nennt weder eine außersprachliche Sache, noch eine
"Stimmung“ im Sinne der Stimmungslyrik. Das Wort ist alles, was im Gedicht Trakls ist; es gibt keine andere Wirklichkeit als die des sprachlich in der Gedichtstruktur Geschaffenen. Die Grenze zwischen Leben und Tod löst sich auf, jede Kontur der Tagwelt verwandelt sich in die Abend- und Nachtwelt, die, sprachlich geschaffen, sicher wahrer als die Tagwelt ist.
Beim jungen Benn gehen
"Wirklichkeitszertrümmerung“, Formbruch als Provokation gegen die bürgerliche Verstandessprache und Sehnsucht nach der Urwelt, dem
"südlichen Wort“, nebeneinander. In seinem Assoziations-effekt ruft Benns Wort ein im Alltag tief verborgenes Urgefühl auf, ver-weigert sich aber zugleich einem Leser, der es grammatikalisch verstehen will.
Stramms Wortgedichte, sowie Schwitters' Lautgedichte rühren vom Abscheu gegen die Bedeutung und den Kontext der Sprache her und entreißen das Wort radikal dem Kontext. Man ist so am Rande der Sprache angekommen.
Bei diesen Deformationsphänomenen handelt es sich weniger um eine Problematik der Lyrik als Kunst, als vielmehr um die der Armut der Wirklichkeit; das
"Wesen“ der Welt haben die Dichter, gewiß nicht ohne Übertreibung, entblößt. In der Deformation die problematische Welt kritisierend anzuklagen und auf diesem mittelbaren Weg ein neues positives Menschen- und Weltbild zu postulieren, war ihre Methode. Es gab aber auch die, die nach umgekehrter Methode mittelbar Kritik übten, indem sie direkt ein neues Bild postulierten. Mit ihrer schuldlosen Phantasie will Else Lasker-Schüler alles in Träume verwandeln und Gott persönlich anrufen. Verwandelt erscheint ihr die Welt in Liebe. Für Rilke ist die Welt kein Objekt, kein Gegenstand des Habens, sondern das, was sie ist. Im Unscheinbaren, in der unscheinbaren Sprache offenbart sich eine grandiose Weltdimension. Er, der Dichter der Verwandlung, schaut Gestalten in der Ganzheit von Leben und Tod. Der Mensch wird von der Höhe dieses überempirischen Ganzen her geschaut, so daß hier ein nachzuholendes Urbild des Menschen gezeigt wird-als eine Antwort des Dichters auf die fragliche Welt. Auch hier stützen die Dichter mit ihren Figurationen den ortlosen Menschen wie die gestaltlose Welt.
Die moderne Kunst wendet sich von der äußerlichen Wirklichkeit zum unsichtbaren Innen. Soweit sie sichtbare Formen zerstört oder verwandelt, also aufhebt, ist sie der Technik und dem Geld ähnlich: die Technik bringt, im Sinne Ernst Blochs, statt gotischer Dome eine Zivilisation des Klosetts,
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