Man kann sagen, daß die Untersuchung des Frühneuhochdeutschen Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Frage nach der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache begann.
In der Diskussion über, die Wiege‘, , den möglichen Schöpfer‘ und, die Richtung‘ gelten die Kontinuitätsthese von Müllenhof, die Prag-These von Burdach und die These der Ausgleichssprache in Ostmitteldeutschland von Frings als Thesen, die alle kaum materialgestützt formuliert wurden und trotzdem als Anreiz zu neuen Arbeiten am Quellenmaterial wirkten.
Als wesentliche Merkmale des Neuhochdeutschen galten die sogenannten neuhochdeutschen Diphthonge. Aber Diphthonge waren nicht nur die Bezeichnung für die Laute, sondern auch manchmal die Bezeichnung für die Schreibung. Wenn z.B. von Raumer, Diphthonge‘ schreibt, wissen wir nicht genau, ob er damit Laute oder aber Buchstabenverbindungen meinte. Obwohl dagegen z.B. Jellinek schon in den dreißiger Jahren klare Vorstel-lungen der strukturalistischen Phonologie gehabt zu haben scheint, zeigt sich im ersten Stadium der Erforschung des Frühneuhochdeutschen ein gemischter Gebrauch der Terminologie für Laut- und Schriftzeichen.
Ende der 50er Jahre begann eine neue Phase der Erforschungsgeschichte des Frühneuhochdeutschen. Mehrere auf breites Quellenmaterial gestützte Beiträge brachten Erscheinungen des großräumigen Sprachausgleichs ans Licht.
Eine dieser Arbeiten ist Fleischers, Strukturelle Untersuchungen‘. Fleischer versucht das Schreibsystem eines Schreibers strukturell zu beschreiben. Der Terminus Graphem wird von ihm eingeführt. Er definiert Graphem als kleinste distinktive Einheit geschriebener Sprache, die ein Phonem repräsentiert. Da aber das Phonem- und Graphemsystem nicht identisch sind, kann ein Graphem zwei verschiedene Phoneme bezeichnen und umgekehrt kann ein Phonem durch mehrere Graphemvarianten bezeichnet werden. Fleischers Fazit: Bei der Herausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache spielte die Rückwirkung vom Graphemsystem auf die Phonemebene eine große Rolle.
H. Moser geht von Fleischers Definition des Graphems aus, aber bei ihm sind Graphem und Phonem noch stärker getrennt. Er stellt fest, daß es im Schreiberkollektiv einen Schreibusus gab, der als elastische Norm zu verstehen ist. In der frühneuhochdeutschen Zeit gab es nämlich noch keine präskriptive Schreibnorm, aber es gab wohl einen gewissen Rahmen, der dem Einzelschreiber die Freiheit gab, zwischen Graphemvarianten zu wählen. Die Variationen hatten ihre Grenzen dort, wo Oppositionen, die für die Kommunikation notwendig sind, gefährdet werden können. Man darf also die Schreibung des Frühneuhochdeutschen nicht schlechthin als willkürlich oder verwahrlost bezeichnen.
Straßner und Piirainen bearbeiteten mit Hilfe des Computers umfang-reiches Material. Sie behaupten, daß das Graphemsystem vollständig autonom ist, und behandeln das Graphem ohne Berücksichtigung des phonemischen Inhalts.
Bei der Untersuchung des Frühneuhochdeutschen muß man viel Material bewältigen. Deshalb ist heute die Benutzung des Computers unentbehrlich, was z.B. das Bonner Corpus-Projekt beweist.
Im Prozeß der Herausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache wurden verschiedene Auswahlen aus mehreren Bereichen unternommen. Neueste Arbeiten zeigen, daß bei diesen Auswahlprozessen sozialbedingte Faktoren sehr wichtig waren.
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