Der erste Gedichtband von Enzensberger, »verteidigung der wölfe«, ist 1957, ein Jahr nach dem Tode B. Brechts, veröffentlicht worden. Zufällig scheint dieses Datum bereits eine Verbindung von Enzensberger und Brecht anzudeuten. Und wenn man die Gedichte Enzensbergers liest, merkt man, daß nicht wenige davon aus Gesprächen mit Brecht hervorgegangen sind.
Der Dichter und Kritiker Enzensberger fragt nach der gesellschaftlichen Rolle der Intelligenz und der Dichter und erwägt die Funktion und Wirkungen des Gedichts. An dieser sozialkritischen Einstellung vor allem erkennt man ihn als Brechts Nachfolger.
Seine Ansicht über den politischen Auftrag des Gedichts unterscheidet sich jedoch von derjenigen Brechts. Die dichterische Welt Enzensbergers stellt sich als mehrdeutiger und widerspruchsvoller dar.
Im Gedicht »verteidigung der wölfe gegen die lämmer« wird die im Wirtschaftswunder tobende bundesdeutsche Gesellschaft mittels der märchenhaften Figuren von
Wölfen und
Lämmern als Klassengesellschaft entlarvt. Dabei fällt auf, daß die Erwartungen, für die Unterdrückten einzutreten, durch die paradoxe Aussage,
die Wölfe gegen
die Lämmer zu verteidigen, enttäuscht wird. Mit aggressiven Fragesätzen wird die Mutlosigkeit und Unbelehrbarkeit der
Lämmer scharf kritisiert. Hier steht den
Lämmern das dichterische Ich allerdings deutlich gegenüber. Im Gedicht »an einen mann in der trambahn etwa« wird aber der Abstand zwischen der Beiden kleiner, bis das dichterische Ich schließlich solch ein gehorsames
Lamm als seinen
"Bruder“ erkennt.
Der Dichter sieht tief in den Augen der
Lämmer deren Wut, die sich unbewußt staut und keinen Ausgang findet. Sie können ihren Zorn weder objektivieren noch formulieren. Sie sind sprachlos. Diese stummen Beherrschten charakterisiert Enzensberger als politische Analphabeten, deren Bewußtsein und Urteilskraft unbemerkt von der Bewußtseins-Industrie ausgebeutet wird. Er stellt fest, daß jetzt an der Stelle der materiellen eine immaterielle Ausbeutung tritt und die Entpolitisierung der Massen fortschreitet. Diese immaterielle, abstrakte Verelendung konkret und deutlich auszudrücken, sollte die Aufgabe der Dichter und der Intelligenz, als der
"Alphabetisierer“ sein.
Der Dichter richtet aber seine Gedichte an diejenigen, die sie nicht entziffern können. Das Gedicht »gedicht für die gedichte nicht lesen« etwa stellt diese paradoxe und schwierige Arbeit des heutigen Dichters beispielhaft dar.
Und noch bemerkenswerter ist, daß verschiedene Figuren der
Lämmer zu dem Bild von
niemand verallgemeinert werden.
Niemand ist von allgegen-wärtiger Existenz wie der Wind.
Niemand gesellt sich zu verlassenen Dingen, vergessenen Toten und zu der Naturwelt, die die Spuren des
"blutigen Fortschritts“ des Menschen beobachtet hat. Allen diesen schweigenden Wesen versucht der Dichter die Sprache zu geben. Und schließlich scheint der Dichter selbst mit
niemand eins werden zu wollen. Sein Gedicht soll ein Lied sein, das mit der Stimme
niemands von
niemand singt.
Im dritten Gedichtband von Enzensberger, »Blindenschrift«, kommt die direkte Äußerung mit der zornigen Sprache nicht mehr vor. Enzensberger will jetzt leise mit monologischen und lapidaren Worten von den Stummen erzählen.
Das Lied von den Stummen könnte wohl nur mit der
"Blindenschrift“ geschrieben werden. Enzensbergers Gedichte von der »Blindenschrift« schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung an der Macht des Gedichts.
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