Die Beziehung zwischen Arthur Schnitzler und dem Judentum lasst sich nicht nach ethnologischen bzw. nationalistischen Massstaben, sondern eher aus der Weltanschauung eines kulturell assimilierten Juden erklaren, die ihn geistig von seiner judischen Stammeszugehorigkeit entfernte. Schnitzlers rationalistischatheistisch eingestellte Denkweise, die vom liberalen Klima der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gepragt war, fuhrte dazu, daB er sich von der judischen Religion distanzierte. Der in Systematisierung begiffene Antisemitismus in der ersten Halfte der achtziger Jahre machte ihm erst seine Abstammung bewusst, und bestarkte ihn in seiner sozialkntischen und psychologischen Einstellung zu diesem Zeitproblem. In den neunziger Jahren trat die Judenfrage bei Schnitzler direkt in sein literarisches Arbeitsfeld. Die Rezensionen uber das Drama "Freiwild", dessen Duell-Motiv im Drama trugerisch mit dem Judentum assoziiert wurde, gelten zumal als ein Beweis dafur, wie tendenzios Schnitzler im damaligen politischen Klima von dem Antisemitismus angegriffen wurde. Diese Tatsache beweist, dass der zeitgenossische Erwartungshorizont stark durch die Judenfrage eingeschrankt war. Es lasst sich bei beiden Werken "Der Weg ins Freie" und "Professor Bemhardi", deren stoffliche Grundlage die aktuelle Judenfrage bildet, erkennen, dass sie eine doppelte Richtung, die sozialkritische Funktion und die literarische Autonomie, haben, die in der zeitgenossischen Rezeption vielseitige Reaktionen hervorriefen. Die ambivalente Gestaltung der Werke basiert auf Schnitzlers theoretischer Strategie, die wirkliche Judenfrage realistisch im Werk zu spiegeln, ohne tendenzios zu werden, und dann den uber den Zeitgeist herrschenden Nationalbegriff und auch die nationalistische Erwartung auf dem Rezeptionsfeld zu relativieren. Damit funktioniert die Sozialkritik des Dichters als gegenseitige Reflexion zwischen Werk und Wirklichkeit, zwischen dem Inneren und dem Ausseren. Hinter der Relativierung des natonalistischen Denkens liegt Schnitzlers dreifaches Bewusstsein gegenuber seiner Zugenorigkeit: sich als Jude, Osterreicher und Deutscher zugleich zu fuhlen. In seiner skeptischen Haltung findet der aufklarerische Geist des assimilierten Juden seinen Niederschlag, der sich selbst als Ferment der Menschheit wahrnimmt. Was mit der Behauptung, sich als Osterreicher zu fuhlen, gemeint ist, kann aus Schnitzlers Heimatbegriff erklart werden, der den Vaterlandsbegriff als politische Fiktion des Zionismus ablehnt. Sein Deutschtum stammt aus der deutschen aufklarerischen Kulturtradition, durch die die kulturelle Assimilierung der Juden verwirklicht wurde. Als diese Bildungstradition seit den neunziger Jahren durch die antisemitische Tendenz bedroht wurde, protestierte Schnitzler nicht durch eine tendenziose Anklage, sondern durch die rationalistische Praxis, die psychologische Seite der Judenfrage zu kritisieren.
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