Christoph Ransmayrs Arbeit am Zeugen
— Jean Améry und der Roman Morbus Kitahara —
Kentaro KAWASHIMA
„Die bloße Existenz und die Gestalt der Zeugenberichte
widersprechen mit Entschiedenheit dem Dogma des
Unvorstellbaren.“
(Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem)
1.
Gedächtnis und Medien sind Hauptprobleme im Nachkriegsroman Morbus Kitahara.
Bei diesem 1995 erschienenen dritten Roman von Christoph Ransmayr, dessen
Schauplatz Moor geschichtlich an die deutsche Vergangenheit, topographisch an das
österreichische Salzkammergut, d. h. die Heimat des Autors, erinnert, handelt es sich
um eine eigentümliche Re-Interpretation der deutschen (und auch österreichischen)
Nachkriegszeit, die in mehrfacher Hinsicht vor der historischen Wende von 1989
wohl undenkbar gewesen wäre. Erzählt wird von Ransmayr eine unerhörte Nachkriegsgeschichte,
die weder Wiederaufbau noch Vergangenheitsbewältigung kennt,
eine alternative Geschichte der Nachkriegszeit, in der der Ausnahmezustand, anders
als in der geläufi gen Geschichtsschreibung, mit dem Kriegsende gar nicht aufhört,
sondern durch die Besatzungspolitik der Siegermächte endlos fortgesetzt wird. Ironischerweise
wird im Roman eine derartige Fortsetzung des Kriegszustandes in einer
anderen Form, demonstrativ auf ein Konzentrationslager des Dritten Reichs verweisend,
der „Friede[n] von Oranienburg“1) genannt. So erweist sich in dieser Romanwelt
die Besatzung der Alliierten als so etwas wie eine Verlängerung des Ausnahmeund
Kriegszustandes, der mit dem nationalsozialistischen Regime begonnen hat.
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