Der Roman
"Wilhelm Meisters Wanderjahre“ hat einen Untertitel;
"oder die Entsagenden“, den man wohl als Schlüsselwort des ganzen Werks nehmen sollte. Auf die Frage; Wer sind die Entsagenden? zu antworten, ist nicht schwer. Es sind die Mitglieder der Turmgesellschaft. Das steht ja klar im Text (HA8, 84). Aber worauf müssen sie denn überhaupt verzichten? Zu dieser Frage gibt es bis heute recht verschiedene Meinungen. Die Leidenschaft und der Egoismus werden jedoch als Objekte der Entsagung am öftesten genannt, das ist die Schlußfolgerung einer Werkinterpretation, die den Roman als Bildungsroman interpretieren möchte. Diese zwei Elemente passen zwar zum Helden Wilhelm sehr gut, aber nut zu ihm allein. Bei den anderen Mitgliedern, z.B. Lothario und Jarno liegt der Fall anders als bei Wilhelm; Denn sie sind von adliger Geburt.
Wenn wir irgendein gemeinsames Objekt, das zu allen Mitgliedern jener Gesellschaft paßt, finden könnten, so gelänge es uns, den Hauptschlüssel für eine konsequente, nicht nut für die
"Wanderjahre“, sondern auch für die
"Lehrjahre“ gültige Konzeption zu entdecken.
Meine These lautet; Alle Mitglieder der Turmgesellschaft, ob adlig oder bürgerlich, entsagen dem Schein. Und dieses Entsagen entspricht der Konzeption Goethes.
Wilhelm hat nämlich der Theaterwelt entsagt, die bis zum 5. Buch der
"Lehrjahre“ als der einzige Ort seiner Bildung dargestellt ist. Im 5. Buch schreibt Wilhelm an Werner;
"Jener (der Adel) darf und soll scheinen: dieser (der Bürger) soll nut sein… Du siehst wohl, daß das alles für mich nur auf dem Theater zu finden ist, und daß ich mich in diesem einzigen Elemente nach Wunsch rühren und ausbilden kann. Auf den Brettern erscheint der gebildete Mensch so gut persönlich in seinem Glanz als in den obern Klassen…“(HA7, 291f.)
Die schöne Gefangene des Scheins, nämlich jenes wortkarge Mädchen Mignon, soll als die Seelenführerin Wilhelms den Helden bis zum Zeitpunkt seines Verzichts auf die Bühne begleiten, aber genau in diesem Augenblick eine Beute des Todes werden, ihre Rolle dem astralen Kind Felix, das im Gegensatz zu ihr alles um sich fröhlich mit Worten zu bezeichnen pflegt, weitergebend.
Andererseits entsagen die adligen Mitglieder der Turmgesellschaft auch der Welt des Scheins. Diese bedeutet bei ihnen keine andere als die höfische Welt, wo die Adligen, wie die erleuchteten Planeten, um die Sonne des Throns laufen und in dessen Abglanz scheinen dürfen und sollen. Gerade solche
"repräsentierende“ Lebensart des privilegierten höfischen Adels wird aufgegeben. Sie wählen als Tätige ein einseitiges, scheinloses Leben.
Das 7. und 8. Buch der
"Wanderjahre“ ist sozusagen als Brücke gebaut, über die die dem Schein Entsagenden von einer zu Ende gehenden Zeit in eine neu anfangende Zeit ziehen. Goethe steht hier wie Janus, zugleich nach vorn und nach hinten blickend. Sein historisches Bewußtsein von einer großen Wende läßt sich hier deutlich ablesen.
Das Wort Brücke bezieht sich nicht nur auf das Inhaltliche, sondern auch auf das Formale; Bis zum 5. Buch der
"Lehrjahre“ reicht die Übernahme der
"Theatralischen Sendung“, die als ein bürgerlicher Roman konzipiert war. Aber die
"Lehrjahre“ im ganzen und die
"Wanderjahre“ folgen nicht mehr dieser Konzeption. Goethe denkt um. Er möchte den alten Romanteil und einen neu konzipierten Teil irgendwie anschließen, was aus seinem Briefwechsel mit Schiller im Jahre 1796 klar zu erkennen ist.
Der Bürger Wilhelm steigt auf eine steile Bahn der Bildung empor,
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