Zwischen den beiden Werken Musils "Die Verwirrungen des Zoglings Torless" (1906) und "Vereinigungen" (1911) gibt es eine sprachproblematische Beziehung : Die Protagonisten der beiden Werke drticken mit Gleichnissen aus, was sich nicht direkt ausdrucken lasst, und dabei versteht die Gleichnisse niemand andere als der, der sie selbst erzeugt. In diesem Aufsatz wird versucht, mit Rucksicht auf das Wort Sinnlichkeit auf die Fragen zu antworten, was das Unausdruckliche hier ist, und wie die Protagonisten es erkennen konnen. Torless, der in seinem Internal mit seinen Kameraden einen Jungen misshandelt hat und von den Lehrern nach dem Grund dafur gefragt wird, gibt nur dunkle gleichnishafte Antworten, weil er keinen kiaren Ausdruck dafur hat. Er sagt, "in mir war em zweites [Leben], das dies alles nicht mit den Augen des Verstandes ansah." Was er nicht in klare Worten fassen kann, ist, was er mit diesem zweiten Leben wahrnimmt. Hier sei auf das Wort "Sinnlichkeit" im Text verwiesen. Sinnlichkeit hat bier nicht nur eine sexuelle Bedeutung, die fur das homosexuelle Ereignis im Internat geeignet ist, sondern auch eine andere, eine von allen mit Sinnen filbibare. Torless verwirrt die Kluft zwischen den gewohnlichen Sprachen und den unmittelbaren Erlebnissen der Welt. Im Gegensatz zu Torless reprasentieren die Lehrer die vernunftigen Erwachsenen, die an die vernunftige Denkweise gewohnt sind, gar keinen Zweifel an der Sprache haben und deswegen die Verwirrungen des Torless nicht verstehen konnen. Torless hat einmal in den Himmel geschaut und wird von seiner Unendlichkeit uberrascht, weil er darauf kommt, dass in dem Wort "das Unendliche" "etwas uber den Verstand Gehendes, Wildes, Vernichtendes" verborgen ist. Dieses Beunruhigende ist aber durch den zufalligen Namen "das Unendliche" nicht mehr sichtbar: das Wort druckt aus, was da eigentlich ist, und macht es zu einem viel kleineren Ding. Wahrend Torless die Kluft zwischen Sprache und Gefuhl immer klarer wird, erinnert er sich an ein fruheres Bewusstsein, in dem die Worte nur zufallige Ausfluchte fur das Empfundene waren. In der Novelle "Die Vollendung der Liebe" kommt eine Frau vor, die alles auf doppelte Weise wahrnehmen kann. Sie fragt ibren Mann : "Kennst du dieses Gefuhl, es stehen manchmal alle Dinge plotzlich zweimal da, volt und deutlich, wie man sie weiss, und dann noch einmal, blass, dammernd und erschreckt, als ob sie heimlich und schon fremd der andere anblickte?" Die Frau, Claudine, nimmt den Fremden, den Ministerialrat, auch doppelsinnig wahr. Sie hat ihn vom Anfang des Treffens an geringgeschatzt, wegen seiner albernen Geistigkeit, wenn sie ihn mit der durch lange Jahre gewohnten Urteilsweise sieht, doch plotzlich sieht sie ihn ganz anders. Im Unterschicd zum Anfang findet Claudine den Mann gefuhlsmassig neutral, ohne Abscheu und ohne Hass. Dass der Ministerialrat ein wertloser Mensch Sei, ist bloss eine Einbildung Claudines. Wie er werden alle Dinge, ab und zu von ibrer gewohnlichen Einbildung, gewohnlichen vernunftigen Denkweise befreit, zu einem nichtsprachlichen Wesen. In "Die Versuchung der stillen Veronika" konnen Veronika als Sinnlichkeit, und Johannes als Sprache und Denken symbolisiert werden. Dass Veronika Johannes den Tod wunscht, kann gedeutet werden, dass die Sinnlichkeit der Herrschaft der Sprache und des Denkens entkommen will. Nach der Abreise Johannes ist der Frau "eine Leichtigkeit des Verfugens uber ihre Gefuhle" gegeben. Als ein Brief von Johannes zu ihr kommt, verschwindet dieses veranderte Erleben der Welt, was andeutet, dass die Ruckkehr der Sprache und des Denkens die Freiheit der Gefuhle verdrangt. Veronika ist als geistig krank charakterisiert, was ihr die Moglichkeit Offnet, alles anders zu sehen als die Vernunftigen. Sie erlebt einmal, dass Engel um sie stehen, was vernunftig gedacht
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