Wenn der Dichter zum Allgemeinen das Besondere als Beispiel suche, so entstehe die Allegorie. Wenn er hingegen im Besonderen das Allgemeine schaue, so entstehe etwas ganz anderes: das Symbol. Nur die zweite Art, meint Goethe, sei ursprüngliche Dichtung, nur sie sei
"eigentlich die Natur der Poesie, sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nur dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.“ Daneben lesen wir in seiner Abhandlung:
"Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil“, : Im zweiten Grad sieht der Mensch
"eine Übereinstimmung vieler Gegenstände, die er nur in ein Bild bringen kann, indem er das Einzelne aufopfert.“ Wir dürfen vermuten, daß Goethe hier das
"Bild“ für das Allgemeine im Sinne der Allegorie gehalten hat.
Nach Goethe gelangt die Kunst durch tiefes Studium der Gegenstände selbst dahin, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht. Dann besitzt der Schaffende die tiefe Erkenntnis vom Wesen der Dinge und hat nicht mehr das Allgemeine zu suchen. Hier erscheint das Urphänomen, das man im Einzelnen schauen kann. Wenn er vom Allgemeinen des Symbols spricht, dürfte er an dieses Urphänomen gedacht haben.
Wir können also zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffes
"das Allgemeine“ unterscheiden. Aber W. Benjamin hat Goethes Äußerung über die Allegorie als eine negative Nachkonstruktion derselben, einen Gegenbegriff zum Symbol aufgefaßt. W. Emrich und E. Bloch sind beide darin Benjamins Nachfolger, daß sie in Goethe den klassizistischen Unsinn gelesen haben, der die Allgorie als Versinnlichung von Begriffen ausgab. In diese Richtung ist die Bestimmung der Begriffe
"Symbol“ und
"Allegorie“ bis heute fortgeschritten, unter der Ägide Hegels, aber, möchte ich hinzufügen, in Anlehnung an Goethe. Der Ursprung dieser Verwirrung lag in der Sprache Goethes, mit der er sich gegen Schiller abzugrenzen suchte.
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