"Gesetzeskraft“, Jacques Derridas Versuch, Benjamins Text
"Zur Kritik der Gewalt“ in bezug auf die
"Endlösung“ zu analysieren, weist auf die mögliche Komplizenschaft beider Diskurse hin: Benjamins Unterscheidung von
"der mythischen, rechtssetzenden und -erhaltenden Gewalt und der reinen, göttlichen“ unterliege trotz und wegen der reinen Unrepräsentierbarkeit der letzteren jener Relativität, die sich in diskursive Konkurrenz verwandeln mußte, als sie ins Feld des Politischen gezwungen wurden. Da erscheint eben das Gespenst der
"Endlösung“, deren Logik eigentlich die der konkurrierenden Komplizenschaft ist. Im gleichen Zug setzt aber Derridas Argument ihn selbst in dieselbe Falle. Denn sein Versuch, die Singularität des
"Anderen“ ohne jede Politisierung zu retten, setzt den dauernden Aufschub des entscheidenden Augenblicks voraus, wo er schließlich der Realität des Politischen (wieder) begegnen würde.
Nachdem er sich im eigenen Netz verstrickt hat, zeigt Derrida nun am Ende des Textes einen mimetischen Gestus: Er ahmt nämlich Benjamins Gestus des Signierens nach. Er gräbt Walter Benjamins versteckte Unterschrift
"die waltende“ aus dem letzten Satz des Textes aus
und signiert neben ihr, aber
ohne Autorität. Daß Derridas Unterschrift der Autorität bereits im voraus beraubt ist, verrät die letzte Aussage des
"Postscriptums“:
"Es will mir scheinen, als diktiere das Gedächtnis der Endlösung gerade dieses Denken.“ Durch seinen Gestus des Signierens wird eben Derrida, der signiert, also zerrissen: Der Abgrund öffnet sich zwischen dem Eigennamen als Signatur der Gerechtigkeit und dem
"Gedächtnis der Endlösung“ als Zerstörung des Namens. Er signiert im Namen jener zerstörten Namen, die um sich keine Trauer mehr zulassen, und zeigt die Unmöglichkeit des Signierens als des Autoritätssiegels. Derridas Signieren ist der Gestus des Trauerns um die Möglichkeit, d.h. um die Möglichkeit des Trauerns.
Benjamins kryptogrammatische Signatur
"die waltende“ (Walter) ist zugleich der Name der reinen Gewalt. Sein Gestus hier:
"Ich bin der, der
"die waltende Gewalt
"heiße.“ ist paradoxal. Während die mythische Gewalt eine
"bloße Manifestation“ des Daseins der Götter war, manifestiert die reine Gewalt, wenn sie signiert wird, das menschliche Dasein. Wie im
"Trauerspielbuch“ der tragische Held paradoxal als die sprachlos trotzende
"Leere“ auftritt, so wird seine menschliche Existenz als der durch die reine Gewalt zerrissene Abgrund erscheinen. Das Wort
"die waltende“ kündigt die Existenz der reinen Gewalt eben als
"Walters“ eigene existentielle Möglichkeit, die nie wirklich sein kann. Walter ist und bleibt zerrissen, da die
"waltende“ Gewalt nicht mit Gewißheit erkennbar ist und für die Menschen nicht zutage liegt.
"Walter“ ist der Name, der diese unüberbrückbare Zerrissenheit als menschliches Dasein, das zum Trauern um sich selbst verpflichtet ist, dem zuschreibt, der mit
"Walter“ signiert.
Benjamins melancholischer Traum, wo die Hoffnung zum Trauern um den
"Toten“ noch bleibt, schlug bereits Ende der 20er Jahre in den schauderhaften Alptraum um, der Derridas
"Gedächtnis der Endlösung“ längst vorwegnimmt. Die auratischen Leichen sind dort spurlos verwischt. Benjamins späten Schriften liegt nun ein anderer Zwiespalt, der ihnen (galgen)humoristische Züge verleiht,
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