die Deutsche Literatur
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Volume 93
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  • Yasuo ISHIMITSU
    1994Volume 93 Pages 1-11
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Es sind jetzt fast zwanzig Jahre verstrichen, seit im Jahr 1977 das epochale Buch "Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik“ erschien, ein Sammelwerk, in dem junge Germanisten, später mehr oder weniger Vetreter der Diskursanalyse in Deutschland, ihre Aufsätze als tastende Versuche darboten, in der neugefundenen diskursanalytischen Methode sich vorzuwagen und darin schlummernde Möglichkeiten für die damals in eine Sackgasse geratene Germanistik zu erobern. Mir scheint nun der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo man einsehen und auch relativ genau beurteilen kann, was in der Anfangsphase noch möglich war und tatsächlich verwirklicht worden ist, und wo die Chance verpaßt wurde, etwas Wichtiges weiter zu entwickeln, obwohl das von Anfang an als eine latente Tendenz der diskursanalytischen Verfahrensweise innewohnte und nicht so leicht zu übersehen war.
    Zuerst die positive Seite der Weiterführung der Diskursanalyse in Deutschland: Norbert Bolz, Jochen Hörisch, vor allem Friedrich A. Kittler, alle energische Verteidiger dieser Methode, haben sicher aus der tradierten Diskursanalyse, die sie von der strukturalistischen Systemanalyse (Lévi-Strauss) und Psychoanalyse (Freud/Lacan), insbesondere aber von der Archäologie bzw. Genealogie Michel Foucaults übernahmen, ganz konsequent eine originelle und weitreichende Medientheorie entwickelt und wissenschaftsfähig gemacht. Ganz konsequent, weil der große Einfluß der Kybernetik Lacans etwa auf Kittler und Bolz da eine entscheidende Rolle spielte; den jungen Abenteurern half ungemein viel dieser Anschlußpunkt an durch neue Medien hervorgerufene, ganz neuartige Zustände, denen alle bisherigen Hermeneutiken und Philosophien nicht mehr gewachsen gewesen wären. In diesem Sinne üben diese Diskursanalytiker, oder jetzt Medientheoretiker, eine ziemlich scharfe Kritik an Foucault, da bei ihm nur von schriftlichen Archiven die Rede war, und deswegen kein Ansatz mehr bestand, nicht mehr schriftliche Datenspeicherungen zu analysieren.
    Dieser Michel Foucault hat aber eben denjenigen Blick der Diskursanalyse ganz klar und deutlich hervorgehoben, der, verschieden von dem prüfenden, gemächlich registrierenden und totalisiereden Blick der Klinik, sofort und ohne Umweg erfaßt und zuschlägt; er wird das Erspähen genannt. Von diesem Erspähen heißt in der "Geburt der Klinik“ wie folgt: "Es gehört in den nichtsprachlichen Bereich des Kontakts, eines rein idealen Kontakts, der aber durchschlagender ist, weil er die Dinge leichter durchquert und tiefer unterwandert.“ Von diesem erspähenden Blick wußte auch die Diskursanalyse in deutscher Version in der Tat viel und sie übte ihn oft, indem sie bestimmte Diskurse, denen von der traditionellen Hermeneutik der Status eines Diskurses abgesprochen, ja sogar verboten worden ist, auf auch ihnen innewohnende, aber verdeckt gebliebene, tragende Gründe hin transparent zu machen versucht.
    Es gibt auch in der Tat ein glänzendes Beispiel, wo dem diskursanalytischen Erspähen wirklich gelingt, den Text zu entmystifizieren und hinter den verbietenden Mythen eine Urschrift (nach Derrida) imaginär hervortreten zu lassen: Eben in einer repräsentativen Diskursanalyse des Klingsohr-Märchens (Kittlers "Die Irrwege des Eros und die, absolute Familie‘“) steht doch folgende Stelle: "Tanzend ohne Ende schreibt einer, der nicht spricht und nicht mehr schreibt, auf den vollen Körper der Erde die Figuren seiner Schritte. In ihrer Wiederholung und Verschiebung entstehen Knoten und Ketten von Signifkanten, deren Zufallsordnung nicht Sinn aber Lust ist. Ein Graphismus des Körpers ersetzt den Alphabetismus der okzidentalen Schrift, den der Schreiber vordem allegorisiert hat.
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  • Katsumi HARA
    1994Volume 93 Pages 12-22
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Die Schriften von Jochen Hörisch kreisen thematisch um zwei Pole: um den der Ontosemiologie, der erfüllten Identität von Sein und Sinn, und um den der Kritik der Hermeneutik. Das erste semiontologische Thema wird aufgegriffen in einer Reihe von Schriften, die sich vom, Vorwort‘ (1979) zu Jacques Derridas "Die Stimme und das Phänomen“ über "Gott, Geld und Glück“ (1983) bis zu "Brot und Wein“ (1992) entwickeln. Das zweite Thema, die Hermeneutik-Kritik, wird in einer Reihe von Schriften, die unter den Titeln "Die Wut des Verstehens“ (1988) und "Die andere Goethezeit“ (1992) erschienen, behandelt.
    In "Brot und Wein“ wird eine Archäologie des Abendmahls entwickelt, der ein Topos war, der über außergewöhnlich lange Zeiten hinweg im Zentrum okzidental-christlicher Weltbilder stand, er versprach, daß das Sein sinnvoll und daß der Sinn existent seien. Hörisch verfolgt die Spuren der wirkungsreichen Geschichte dieses Topos bis zu seiner Zerstörung.
    Nachdem dieser Topos um seine Macht als ein "überragendes kultisches Paradigma einer Verdichtung von Sein und Sinn“ gekommen war, konnten Kant und Fichte das Selbstbewußtsein als diejenige Instanz, in der Sein und Sinn synthetisiert und schematisiert sind bzw. werden, erfassen. Sie vermochten noch nicht, im Medium des Geldes das neue funktionale Zentrum der Korrelation von Sein und Sinn zu erkennen. Hörisch zufolge fand die Umstellung von der tradierten, aufs Abendmahl zentrierten realistischen Ontosemiologie auf das funktionale Zentralmedium Geld in der Neuzeit statt. Er macht in diesem Zusammenhang auf latente Möglichkeiten der Novalis‘schen Tete aufinerksam, die vorschlugen, die Fichte, sche "Wissenschaftslehre“ als "Vexierbild einer Geldtheorie“ zu lesen.
    Aber gerade in den Bereichen, die die neuen Medien eröffnen, wird das Geld als das ontosemiologische Leitmedium der Neuzeit, das über seine wirtschaftsspezifischen Aufgaben hinaus alte religiöse Problembestände effektiv mitbetreute, langsam in seine Endphase treten. So wie das funktionale Medium Geld das substantialistische Medium, Brot und Wein‘ austrocknete, so haben heute schon, Hörisch zufolge, die simulativen Medien eine Suprematie über das Geld inne. Das heißt, daß sich zur Zeit "eine neue Formation der Ontosemiologie durchsetzt“: und zwar jene mediale Formation, die eine Wechselbeziehung von Sein und Sinn lediglich simuliert.
    In dieser neuen Formation beschließt sich "das ontosemiologische Projekt der Suche nach Deckungsverhältnissen von Sein und Sinn überhaupt“. Und das Medium ihrer Begegnung ist, wie es McLuhan gezeigt hat, eben das Medium, das die Botschaft ist. Das führt dazu, daß Sinn heute nur durch Sinn, und Sein nur mehr durch Sein gedeckt sind, und daß mit den neuen Medien "das Ende der Vorstellung von Sein und Sinn“ beginnt. Soweit führt Hörisch die Diagnose der Wandlungsprozesse der Ontosemiologie.
    Auf der anderen Seite macht Hörisch darauf aufmerksam, daß die Gegen-Wissenschaften, die um 1900 entstanden sind, nämlich Psychoanalyse, Ethnologie und Systemlinguistik, nicht aufhören, den Menschen kaputt zu machen, "der in den Humanwissenschaften seine Positivität bildet und erneut bildet“ (Foucault).
    Solche gegen-wissenschaftlichen Analysen zeigten sich z.B. in den Arbeiten von Freud und Morelli, die jenen Menschen/Geist zerstören, der Pate stand für eine traditionelle Hermeneutik, die sich aufs Richtig-Verstenen und auf einen richtigen Sinn konzentrierte.
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  • Zu den «materiellen» Bedingungen moderner Diskurse über Autor- und Leserschaft
    Ryozo MAEDA
    1994Volume 93 Pages 23-34
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Zur "Subversion“ des Subjekts als Substanz innerhalb der westlichen Diskurse über Literatur und Philosophie gehört auch die kritische Thematisierung der modernen Autorschaft, wie sie Michel Foucault in "Was ist ein Autor?“ ansatzweise unternommen hat. Bekanntlich war für Foucault ein Autor, der einen Text produziert und für die Sinneinheit des Produzierten einsteht, keine übergeschichtliche Konstante der literarischen Diskurse mehr, sondern-genauso wie der Begriff "Mensch“-vielmehr der Name einer Funktion, die erst um 1800, mit der Institutionalisierung moderner Humanwissenschaften, in den Diskursen über Literatur eingeschrieben wurde und seit Mallarmé mehr oder weniger an Bedeutung verloren hat. Foucault suchte die Funktion Autorschaft in der Moderne vor allem darin, daß sie gewisse Textcorpora unter dem Namen Literatur von den anderen trennt. Um 1800 ist demnach die Zeit gekommen, in der ein Text nur mit einem Autornamen als literarischer gelesen wird, während im Mittelalter ein literarischer Text durch die Anonymität des Autors charakterisiert war.
    Einem solchen Wechsel der Funktion Autoschaft entspricht, wie Foucault meint, die Entstehung der modernen Leserschaft, die ihrerseits von der modernen Individualität und Subjektivität untrennbar war. Friedrich A. Kittler geht ein Stück weiter: seine Diskursanalyse sieht eines ihrer Ziele darin, "materielle“ Bedingungen dieses Wechsels, die zugleich die Entste-hungsbedingungen der modernen, hinter dem Text einen einheitlichen Sinn suchenden Hermeneutik sind, zu untersuchen. Für Kittler ist die moderne Individualität und Subjektivität auf die neue Mutter-Kind-Beziehung innerhalb der in der Mitte des 18. Jahrhunderts entstandenen Kernfamilie zurückzuführen. Und das Entstehen der modernen Leserschaft, in der das autonome Subjekt namens Autor mit seiner Innerlichkeit und Individualität als letzte Instanz für das Sinnverstehen gesucht wird, führt Kittler auf die Tatsache zurück, daß bei der neuen Institutionalisierung des Lesens und Schreibens beide innerhalb eines jeden Individuums verbunden wurden: "das eigene Lesen schreiben“ nämlich. Bei dieser neuen Verbindung des Schreibens und Lesens gait das Buch als einzige Form des Mediums für das Wissen. Die Unterschrift des Dichters und das Entstehungsdatum von Goethes "Wandrers Nachtlied. Ein Gleichnis“ z.B. markierten eine solche moderne Autorschaft und spielten zugleich musterhaft die Rolle eines "Schlüsselwortes“ für die hermeneutische Lektüre eines "individuellen Allgemeinen“, das in einem privaten Erlebnis zum Ausdruck kommt. Paul Celan hat in seinen Gedichten, in denen Daten und Namen auf das Versagen der institutionalisierten Hermeneutik verweisen, ein solches "individuelles Allgemeine“ kritisch in Frage gestellt.
    Um 1900 wurde, so Kittler, das Buch als einzige Form des literarischen und wissenschaftlichen Diskurses durch technische Innovationen wie Film und Grammophon (und, in gewisser Weise, auch durch Schreibmaschine) bedroht. Kittler sieht in der Dichtung Mallarmés (Un coup de dés) eine neue Praxis des literarischen Diskurses, in der das Schreiben nicht mehr durch die Voraussetzung eines autonomen Subjekts fixiert, sondern vor allem durch die Materialität der Buchstaben bedingt ist. Daß Foucault hingegen zwar das Interesse der traditionellen Hermeneutik, in der Lyrik Mallarmés immer noch ein ästhetisches "Nichts“, als ein Autorsubjekt, zu suchen, scharf kritisiert, dennoch selber keine Frage nach den materiellen Gründen für diesen zweiten Wechsel des Diskurses stellt, könnte auf die Grenze der Diskurstheorie Foucaults hindeuten.
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  • Zur Problematik des Anderen bei Robert Musil
    Reiko KITAJIMA
    1994Volume 93 Pages 35-44
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Musils "Möglichkeitssinn“ verbindet sich untrennbar mit der Erkenntniskritik, die den Grund des Wirklichen und des Festen in Frage stellt. Obwohl dieser Möglichkeitssinn selbst eine weite Tragweite hat, führt er bei Musil ausschließlich zum Problem der Liebe, zum Phantasma der "Vereinigung“.
    Weil die Liebe mit der Sprache, der symbolischen Ordnung sehr tief verbunden ist, geht der Suche nach der von zufälliger Wirklichkeit befreiten Liebe die Nachprüfung der bestehenden Liebesdiskurse voran. Nachdem im ersten Buch von "Der Mann ohne Eigenschaften“ (=MoE) die Diskurse der Liebe, die sich in die soziale Ordnung einfügen, satirisch verfolgt werden, wird im zweiten Buch nach der Utopie der Vereinigung von Ulrich und Agathe gesucht. Die Vereinigung ist erst möglich, wenn alle Grenzen, die die gewöhnliche Welt artikulieren, ihre Gültigkeit verloren haben. Als sich Ulrich und Agathe beim Begräbnis des Vaters wiedersehen, begegnen sie einander als <Ich> und sein <Spiegelbild>. Sie kehren gleichsam zum "Spiegelstadium“ zurück. Und dann, sich von der Gesellschaft zurückziehend, suchen sie die Möglichkeit der Liebe jenseits von der wirklichen Norm.
    F. A. Kittler charakterisiert die moderne Liebe, indem er die Geschichte von Werther und Lotte mit der von Paolo und Francesca vergleicht. Während in der Geschichte von Dante die Rede die Gewalt über den Körper hat, verlieren in der Liebesgeschichte von Goethe die Worte eine solche Gewalt. Durch das Lesen empfinden Werther und Lotte ihre Seelenver-wandtschaft und blicken nur einander an. Eine solche Liebe, die man imaginäre Liebe nennen könnte, bleibt also "die Liebe der Seele“. In Musils Novellen "Vereinigungen“ erleben die Heldinnen die mystische Vereinigung mit dem fernen Liebenden, indem sie einmal ihre persönliche, imaginäre Liebe verlassen und sich selbst einem Anderen (dem Ministerialrat) oder dem Anderen (der stummen Natur) eröffnen. Sie konnten vermittels des Anderen dem Bann der imaginären Liebe entgehen. Bei Ulrich und Agathe ist es anders. Diese "Siamesischen Zwillinge“, diese "Ungetrennten und Nichtvereinten“ lesen die Bücher von Mystikern, sprechen endlos miteinander über die Liebe und vermeiden die endgültige Vereinigung. Auch sie erleben zwar manchmal Augenblicke der Vereinigung, aber sie interpretieren die Erlebnisse und nehmen sie wieder in ihr Gespräch auf. So häufen die Geschwister unersättlich die Sprache über die Liebe an und bleiben schließlich im Bann der imaginären Liebe, fehlt doch dieser Geschwisterliebe der Andere, also auch das Andere der Liebe. So erstarrt die Liebe von Ulrich und Agathe zum Stilleben. Aber wenn alle möglichen Umgehungen des Liebesgeständnisses und Liebesaktes die Liebesdiskurse in der Literatur nährten, entspricht es der "letzten Liebesgeschichte“, daß sich in "MoE“ das Phantasma der Vereinigung in der Sprache über die Liebe erschöpft.
    In Musils Werken taucht das Andere als Töne oder Stimmen auf. In "Die Vollendung der Liebe“ hört Claudine Geräusche und Töne, die man gewöhnlich nicht hören kann, als sie alle Grenzen überschreitet. Auch Moosbrugger hört überall Laute und Stimmen. Weil er sich außerhalb des symbolischen Systems der Sprache befindet, hört er, was sonst niemand hört. Dieses Rauschen, das von der Sprache ausgeschlossen ist und doch in außerordentlichen Fällen als das Andere der Wirklichkeit gehört wird, ist einerseits auch mit dem Schweigen identisch. Es schweigt, weil es das Ohr der Menschen nicht erreicht. Das Rauschen anderseits verklärt sich zur Musik.
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  • Ein Ursprung des deutschen Medienspiels
    Kanichiro OMIYA
    1994Volume 93 Pages 45-55
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    "Gesetzeskraft“, Jacques Derridas Versuch, Benjamins Text "Zur Kritik der Gewalt“ in bezug auf die "Endlösung“ zu analysieren, weist auf die mögliche Komplizenschaft beider Diskurse hin: Benjamins Unterscheidung von "der mythischen, rechtssetzenden und -erhaltenden Gewalt und der reinen, göttlichen“ unterliege trotz und wegen der reinen Unrepräsentierbarkeit der letzteren jener Relativität, die sich in diskursive Konkurrenz verwandeln mußte, als sie ins Feld des Politischen gezwungen wurden. Da erscheint eben das Gespenst der "Endlösung“, deren Logik eigentlich die der konkurrierenden Komplizenschaft ist. Im gleichen Zug setzt aber Derridas Argument ihn selbst in dieselbe Falle. Denn sein Versuch, die Singularität des "Anderen“ ohne jede Politisierung zu retten, setzt den dauernden Aufschub des entscheidenden Augenblicks voraus, wo er schließlich der Realität des Politischen (wieder) begegnen würde.
    Nachdem er sich im eigenen Netz verstrickt hat, zeigt Derrida nun am Ende des Textes einen mimetischen Gestus: Er ahmt nämlich Benjamins Gestus des Signierens nach. Er gräbt Walter Benjamins versteckte Unterschrift "die waltende“ aus dem letzten Satz des Textes aus und signiert neben ihr, aber ohne Autorität. Daß Derridas Unterschrift der Autorität bereits im voraus beraubt ist, verrät die letzte Aussage des "Postscriptums“: "Es will mir scheinen, als diktiere das Gedächtnis der Endlösung gerade dieses Denken.“ Durch seinen Gestus des Signierens wird eben Derrida, der signiert, also zerrissen: Der Abgrund öffnet sich zwischen dem Eigennamen als Signatur der Gerechtigkeit und dem "Gedächtnis der Endlösung“ als Zerstörung des Namens. Er signiert im Namen jener zerstörten Namen, die um sich keine Trauer mehr zulassen, und zeigt die Unmöglichkeit des Signierens als des Autoritätssiegels. Derridas Signieren ist der Gestus des Trauerns um die Möglichkeit, d.h. um die Möglichkeit des Trauerns.
    Benjamins kryptogrammatische Signatur "die waltende“ (Walter) ist zugleich der Name der reinen Gewalt. Sein Gestus hier: "Ich bin der, der "die waltende Gewalt "heiße.“ ist paradoxal. Während die mythische Gewalt eine "bloße Manifestation“ des Daseins der Götter war, manifestiert die reine Gewalt, wenn sie signiert wird, das menschliche Dasein. Wie im "Trauerspielbuch“ der tragische Held paradoxal als die sprachlos trotzende "Leere“ auftritt, so wird seine menschliche Existenz als der durch die reine Gewalt zerrissene Abgrund erscheinen. Das Wort "die waltende“ kündigt die Existenz der reinen Gewalt eben als "Walters“ eigene existentielle Möglichkeit, die nie wirklich sein kann. Walter ist und bleibt zerrissen, da die "waltende“ Gewalt nicht mit Gewißheit erkennbar ist und für die Menschen nicht zutage liegt. "Walter“ ist der Name, der diese unüberbrückbare Zerrissenheit als menschliches Dasein, das zum Trauern um sich selbst verpflichtet ist, dem zuschreibt, der mit "Walter“ signiert.
    Benjamins melancholischer Traum, wo die Hoffnung zum Trauern um den "Toten“ noch bleibt, schlug bereits Ende der 20er Jahre in den schauderhaften Alptraum um, der Derridas "Gedächtnis der Endlösung“ längst vorwegnimmt. Die auratischen Leichen sind dort spurlos verwischt. Benjamins späten Schriften liegt nun ein anderer Zwiespalt, der ihnen (galgen)humoristische Züge verleiht,
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  • Shuichi ITO
    1994Volume 93 Pages 56-67
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Es ist wohl ein Fatum der Literaturwissenschaft, daß die Reichweite und Grenze der eingesetzten Begriffe, je nach der Theoriebasis, auf die man sich beruft, variieren, so daß es kaum möglich scheint, daß verschiedene Positionen zur Verschärfung ihres Beschreibungsinstrumentariums von einander etwas lernen. Gewiß gehören zu solchen Begriffen "Kommunikation“ und "Text“, die hier behandelt werden.
    Zwischen der Dekonstruktion und der Systemtheorie hat es, insofern man ihre literaturtheoretischen Applikationen betrachtet, kaum ein Gespräch gegeben, obwohl beide von der Differenz als Basisbegriff ausgehen und philosophisch dadurch motiviert sind, daß sie die tief in der europäischen Denktradition verwurzelte Zentrierung auf einen letztbegründenden Träger wie Subjekt, Bewußtsein oder Ich zu überwinden suchen. Dies liegt strukturell an ihrer unterschiedlichen Einstellung zum Phänomen Literatur.
    Für die Dekonstruktivisten stellt sich die Bedeutung als Effekt der différance, als von temporisierten und verräumlichten Differenzen in deren "Höhlen“ konstituiert dar. Sie suchen in ihrer semiotisch fundierten Kritik aufzudecken, daß die dominanten Bedeutungsfestlegungen literarischer Texte von den metaphysischen Kraftdifferenzen effixiert sind. Die Systemtheoretiker hingegen betrachten Literatur als Literatursystem, d.h. als über Kommunikation ausdifferenziertes soziales Subsystem, und befassen sich, wenn auch variierend je nach ihrer Kommunikationsauffassung, mit der Analyse der literarischen Kommunikation.
    Ist die Kluft zwischen der zeichentheoretisch verfahrenden Dekonstruktion und der kommunikationstheoretisch arbeitenden Systemtheorie unüberbrückbar? Zwar sind von seiten der systemtheoretischen Literaturtheorie-vertreten von Matthias Prangel und Henk de Berg vom LISH (Leidener Institut für Systemtheorie und Humaniora)-Anschlußvor-schläge gemacht worden, bei denen es sich jedoch um keine Annährungs-versuche handelt, denen ein richtiges Verständnis der Gegenposition vorausgeht. Unternommen worden sind lediglich, von einem bis zur Karikatur vereinfachten Dekonstruktionsmodell ausgehend, solche Fundierungsversuche des traditionellen Interpretationsverfahrens im Sinne einer Bedeu-tungseruierung literarischer Texte unter Mitberücksichtigung der historischen Dokumente, die den kommunikativen Hintergrund des Textes profilieren sollen. Dies sogar auf Kosten der theoretischen Kohärenz mit Luhmanns Kommunikationstheorie selbst, auf die sie sich zu berufen behaupten. Denn, wenn die Literatur als Kommunikation zu betrachten ist, und diese ein Ereignis sein soll, dann ist der Text keineswegs mit der Kommunikation selbst gleichzusetzen, sondern er ist das Mitteilungsmedium, in dem erst durch das Lesen die Kommunikation stattfindet.
    Während die dekonstruktivistisch orientierte Literaturtheorie in ihrer relativ langen Geschichte der Rezeption, zu der ja auch Derrida selber nicht wenig beigetragen hat, die Theorieleistungen der philosophischen Dekonstruktion verarbeitet und ihr Beschreibungsinstrumentarium etabliert hat, ist die systemische Literaturtheorie noch auf dem Weg ihrer Bildung. In verschiedenen Arbeiten sind verschiedene Anwendungen der Systemtheorie experimentell erprobt worden, die aber m.E. entweder nicht gelungen sind oder auch ohne Rückgriff auf Luhmann möglich gewesen wären.
    Wie die Beiträge aus diversen Wissensbereichen zur Festschrift zu Luhmanns 60. Geburtstag ("Theorie als Passion“) zeigen, faßt sich die Systhemtheorie als allgemein anschlußfähig und interdisziplinär auf. Es scheint mir somit ein Desiderat,
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  • Der virtuelle Einstein-Turm
    Jun TANAKA
    1994Volume 93 Pages 68-79
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
    JOURNAL FREE ACCESS
    Als Meisterwerk der sogenannten, "expressionistischen“ Architektur gilt der Einstein-Turm, der von dem Architekten Erich Mendelsohn entworfen und am Anfang der 20er Jahre in Potsdam gebaut wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg war Mendelsohn mit dem Astrophysiker Dr. Erwin Freundlich befreundet, der 1917 dem jungen Architekten auftrug, ein Observatorium zu errichten, das der experimentellen Prüfung der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins dienen und gleichzeitig ein Denkmal für diese Theorie sein sollte. Noch als Soldat beschäftigte sich Mendelsohn mit dem Entwurf und fixierte dazu viele Ideen in kleinen Skizzen.
    Nicht nur assoziieren diese Visionen die Form eines Unterseeboots, sondern auch das Spiegelsystem des Turmteleskops entspricht dem Periskop eines U-Boots. Die vollständige horizontale Symmetrie des Gebäudes verstärkt den Eindruck seiner virtuellen Bewegung.
    Mendelsohn bezeichnete den Einstein-Turm als architektonischen Organismus, dem man keinen Teil fortnehmen kann, ohne das Ganze zu zerstören. Mit der Geschlossenheit der Außenform, die eine kontinuierliche Oberfläche erzeugt, zeigt dieser Turm eine architektonische Übersetzung der Feldtheorie Einsteins. Damit versuchte Mendelsohn, das Raum-Zeit-Konzept der Relativitätstheorie visuell erfahrbar zu machen. So wie Etienne-Louis Boullée sich bei seinem Newton-Kenotaph von 1784 auf das Weltbild Newtons bezieht, so bezieht sich Mendelsohn auf Einstein.
    Mendelsohn strebte dabei den Ausdruck der Bewegung der den Baustoffen-besonders Eisen und Beton-innewohnenden Kräfte an, den er "Dynamik“ nannte. Mit diesen neuen Baustoffen können die Baumassen selbst Schwere und Trägheit überwinden und die Geschlossenheit der Fläche verwirklichen. Genau dieselben Baustoffe ermöglichten den Bau der Bunker des Atlantikwalls im Zweiten Weltkrieg. Der Bunker aus Stahlbeton gewann eine gewisse virtuelle Mobilität dadurch, daß sein Schwerpunkt das Fundament ersetzte. Er treibt wie ein U-Boot auf dem Erdboden, der schon eine bewegliche und gefährliche Ebene und keine gute Heimat mehr ist. Mendelsohns Vision des Einstein-Turms steht mitten unter diesen Kriegsmaschinen und mitten im Raum des totalen Kriegs, der die Erde entmaterialisiert und die Architektur auch "mobil“ macht.
    Bei seinen Großstadtarchitektur in den 20er Jahren bemühte Mendelsohn sich durch den Dynamismus der horizontalen Strömungslinie um die virtuelle Mobilität des Gebäudes, das er als ein mitwirkendes Bewegungselement zusammen mit dem schnellen Verkehr auf der Straße betrachtete. Den Wechsel von der vertikalen Hierarchie der letzten Jahrhunderte zum horizontalen Nebeneinander des 20. Jahrhunderts fand Mendelsohn in vielen Gebieten: Politik, Wirtschaft, Religion usw. Bei Mendelsohn, bei diesen "ostpreußischen Orientalen“, war die Horizontaltendenz bezeichnend auch für das Judentum im Gegensatz zur senkrechten Tendenz des "arischgermanischen Blutes“. Der jüdische Fatalismus steht bei ihm der germanischen utopischen Mystik gegenüber. Mendelsohn war sich seines jüdischen Blutes stets bewußt. Das Wort "Blut“ erscheint immer wieder in seinen Vorträgen.
    Er suchte kein Utopia, sondern strebte nach dem adäquaten Ausdruck für den pulsierenden und konsumierenden Nerv der Großstadt, besonders Berlins. Seine "Reklamearchitektur“ für Kaufhaus, Kino und Zeitung paßten sich den Bewegungen der Informationen und des Geldes im kapitalistischen Schlachtfeld an. Dabei erhöhte das künstliche Licht die Gebäude zum räumlichen Ausdruck dynamischer Erregungen. Mendelsohns Architektur funktionierte wie ein Massenmedium, das die Masse für die Großstadt zu faszinieren versuchte.
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  • Ehebruch-Gesellschaft-Mythos
    Mamoru HIRAI
    1994Volume 93 Pages 80-90
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    In dem Roman "Die Wahlverwandtschaften“ behandelt Goethe das Thema des Ehebruchs. In der europäischen Literatur ist dieses Thema traditionell, besonders in der neueren Zeit wurde der Ehebruch zu einem der wichtigsten Themen der Romanliteratur. Der Ehebruch zeigt sich in ihr als Konflikt zwischen Ehe (dem Institutionellen) und Liebe (dem Natürlichen). In diesem Roman bezeichnen die Wahlverwandtschaften das Natürliche. Ein Gespräch über dieses damalige chemische Fachwort ist in einem Kapitel des Romans geschildert. Dabei äußert sich eine der Figuren zu den Wahlverwandtschaften, die die Naturkörper besitzen sollen, folgendermaßen: "Man muß diese (...) Wesen (=Naturkörper) wirkend vor seinen Augen sehen, mit Teilnahme schauen, wie sie einander suchen, sich anziehen, ergreifen, zerstören, verschlingen, aufzehren und sodann aus der innigsten Verbindung wieder in erneuter, neuer, unerwarteter Gestalt hervortreten (...).“ Diese Worte scheinen das darzustellen, was man in vielen Ehebruchromanen wiederfindet: bei dem Ehebruch wünscht sich der Mensch eine Gelegenheit, sich zu verwandeln und sich zu erneuern, wie in diesen Worten ausgedrückt. Aber in dem Roman selbst verwirklicht sich dieser gleichnishafte Vorgang nicht. Mit dem Natürlichen, das das Institutionelle überwindet und vernichtet, sind die Personen des Romans nicht ausgestattet. Im Zentrum des Romans steht nicht der Kampf zwischen Institution und Natur, oder Gesellschaft und Individuum, sondern nur das Scheitern der Personen. Dennoch stürzt hier auch die Institution von selbst zusammen. Darin besteht eine Eigentümlichkeit dieses Romans, der damit von den gewöhnlichen Ehebruchsromanen abweicht. Eine solche Ausweglosigkeit resultiert aus der historishen und sozialen Situation, die die dem Adel angehörenden Personen des Romans umgibt. Hier ist die Lage des damaligen untergehenden Landadels genau geschildert. Goethe selbst stellt es als seine Idee des Romans hin, "sociale Verhältnisse und die Conflicte derselben symbolisch gefaßt darzustellen.“ Doch man kann diesen Roman nicht als einen Gesellschaftsroman ansehen. Wahrscheinlich liegt der hauptsächlichste Zweck des Autors nicht darin, die sozialen Konflikte selbst auszudrücken. Der soziale und sittliche Kampf ist in den Hintergrund verlegt. In dem Roman wünscht Goethe den Personen eine Lösung aus den realen Bindungen. Dazu versucht er als Erzähler, die Hauptfigur des Romans Ottilie mit allen Techniken mythisch zu gestalten. Die Schlußszene, in der das Wiedererwachen der Geliebten geschildert ist, macht einen Höhepunkt dieses mythischen Vorgangs aus. Aber es bleibt nur ein mythischer Schein oder "ein halbgeborener Mythos.“ Goethe zögert, die mythische Erlösung als überzeugende, glaubhafte Möglichkeit zu präsentieren. Es scheint, daß dieser Roman den Gegensatz zwischen Institution und Natur, oder Gesellschaft und Individuum, als eine fiktive Geschichte bloßlegen will, die die neuere Zeit hervorgebracht hat, und wodurch auch die begrenzten Möglichkeiten des Ehebruchsromans angedeutet werden sollen.
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  • Zu Franz Kafkas Betrachtung
    Neri FUJII
    1994Volume 93 Pages 91-102
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Die erste Sammlung von Kafkas Prosastücken, Betrachtung, scheint eine schwankende Beziehung zwischen Kafka und den Erzählungen anzudeuten. In der Sammlung überwiegt das Präsens, obwohl fiktionale Texte normalerweise im epischen Präteritum erzählt werden. Wie läßt dabei die offenbar statisch skizzierende Haltung den beunruhigenden fiktiven Erzählraum entstehen? Diese Arbeit versucht diese wesentliche Erzähleigenschaft des Werkes dadurch zu klären, indem sie den Entstehungsprozeß des fiktiven Erzählraumes nachvollzieht.
    In dem Text Der Fahrgast stellt der Ich-Erzähler eine Überlegung an und schaut ein Mädchen an. Hier stehen Überlegen und Anschauen-zwei Phasen der Betrachtung-anscheinend ohne Zusammenhang nebeneinander. Jedoch läßt der Schlußsatz das Ich, das Subjekt der Betrachtung (Anschauen), ins Objekt der Betrachtung (Überlegen) umschlagen, indem das Mädchen, die Angeschaute, in den Prozeß der Überlegung des Ich hineingenommen wird. Die Betrachtung, die man an diesem Text erkennen kann, bedeutet das tief nach innen gerichtete Nachdenken des Ich über das eigene unsichere Dasein, das durch das Anschauen einer alltäglichen Szene verschärft wird. Das Nachdenken wird hier Reflexion genannt. Reflexion und Fiktion sind zwei Schlüsselbegriffe dieser Untersuchung.
    Eine Tagebucheintragung aus dem Jahre 1911 zeigt, daß Kafka sich bei der Betrachtung Bilder von "Schädelquerschnitte[n]“ und "Sektion[en] bei lebendem Leibe“ vorstellt. Dabei ist es äußerst bemerkenswert, daß Kafka diese Bilder in seiner inneren Welt anschaut, als wären sie Phänomene der äußeren Welt. Diese nach innen gerichtete Beobachtung bedeutet zugleich den Durchbruch zum fiktiven Raum. Die Schilderung der Bewegung des schneidenden Messers für die Sektion macht hier die Fiktion aus. Dabei ist die Beobachtung nach innen Sprungbrett zur Fiktion. Diese Umwandlung der Reflexion zur Fiktion findet sich auch in Kleider und Der Ausflug ins Gebirge.
    Die Reflexion erzeugt einerseits die Fiktion, während sie sie andererseits aber auch unterdrückt. In dem Text Der plötzliche Spaziergang wird deutlich, daß das Erzählen hier als Wechselwirkung von Reflexion (Erwägung über einen möglichen Spaziergang) und Fiktion (Reihenfolge der scheinbar realistischen Taten) verstanden werden muß. In Zum Nachdenken für Herrenreiter wird Reflexion im Laufe des Erzählens mal zur Fiktion, und die Fiktion ihrerseits auch mal zur Reflexion.
    Daraus ergibt sich, daß das Erzählen in Betrachtung als Schwebezustand zwischen Reflexion und Fiktion charakterisiert werden kann. Betrachtung zeigt Kafkas ambivalentes Verhältnis zum Erzählen. Die einzelnen Texte gehören zu den differenzierten verschiedenen Stufen zwischen Reflexion und Fiktion. Der Text, der den größten Anteil an Reflexion aufweist, ist Die Bäume; der größte Anteil an Fiktion findet sich in Unglücklichsein.
    Der Erzähler beobachtet die Bilder, die die Reflexion im Laufe des Nachdenkens auslöst. Diese Beobachtung des Inneren des Ich ist nichts als Kafkas Selbstbeobachtung, wobei der Prozeß der Selbstbeobachtung mit dem der Entstehung der Fiktion zusammenfällt. Dem Leser wird irgendein Bild oder irgendeine Handlung einer möglichen Erzählung entworfen. Dieses wird jedoch jedesmal sofort dadurch demontiert, daß die Fiktion wieder in die Reflexion hineingezogen wird. Worum es in diesen Texten eigentlich geht, der Sachverhalt selbst, entgleitet ungreifbar den Händen des Lesers. Was bleibt, ist nur eine schwebende Bewegung des Erzählens.
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  • Buddho und die Natur“">Über die Natur und das Buddha-Bild in A. Döblins "Buddho und die Natur“
    Masayuki KISHIMOTO
    1994Volume 93 Pages 103-113
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    "Buddho und die Natur“ (1921) ist die erste der Schriften, in denen Alfred Döblin in den 20er Jahren seine existentielle Naturphilosophie entwickelte. In diesem Essay handelt es sich um seine neue Weltanschauung, die durch ihre selbstlose Naturverehrung von der bisherigen fatalistischen ausdrücklich absticht. Was es mit dieser plötzlich wirkenden Weltanschauung auf sich hat, wird hier an diesem Essay untersucht. Es hat sich herausgestellt, daß Döblins Buddha-Bild dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
    In der verworrenen Nachkriegszeit war Döblin sozusagen in einer Lebenskrise. Wenn man in seiner autobiographischen Skizze "Doktor Döblin“ (1918) nachschlägt, begegnet man dem offenen, kritischen Inneren des sich den Vierzigern nähernden Döblins wie sonst niemals zuvor: Verlustgefühl und Kraftlosigkeit, Neid und Einsamkeit, Trauer um die verlorene Jugend und Altersangst usw. Bemerkenswerterweise verbinden sich in der rücksichtslosen Selbstdarstellung die regressiven Regungen innerlich immer mit der Natur. Die Natur, hier der Wald, erscheint ihm sogar wie "ein schöner weltfremder Raum“. Es liegt also die Vermutung nahe, daß seine Naturverehrung nachher im Essay als ein Ersatz des unerfüllten Lebens zu deuten ist. In der Natur hat er zu einem bisher unerreichbaren Lebensgefühl gelangen können. Wie sollte man aber dann deren Plötzlichkeit erklären? Jedenfalls kann man feststellen, daß im Hintergrund seiner Naturverehrung und seiner naturphilosophischen Überlegungen folgende drei Motive stehen: das Verlustgefühl im Leben, das unglückliche gesellschaftliche Bewußtsein wegen der mißlungenen deutschen Revolution und die Naturbindung.
    Da begegnet Döblin Buddha. Es ist leicht zu vermuten, daß die Milde und die Erhabenheit des asketischen, weltflüchtigen Buddhas, wie man ihn sich damals im allgemeinen in Europa vorstellte, beim sentimentalen Döblin auf Sympathie stieß. Das waren aber nur die Ansätze. Er versucht Buddhas "Zustand, in dem er lebt“, weiter nachzuempfinden, findet ihn nicht so asketisch, wie es scheint, sondern eher frei und tätig. In diesem freien, tätigen Zustand besteht Döblins Buddha-Bild. Das ist aber wieder ein sehr buddhistischer oder zentischer Zustand. Die tätige Freiheit im buddhistischen Sinne, die man erst durch die Welt- und Selbstverneinung erreichen kann, ist nicht individualistisch, sondern eher ethisch und barmherzig, weil es sich da um das Selbstbewußtsein eines kosmischen Daseins als Folge der unzähligen Ursachen und Bedingungen handelt. Mit der Erkenntnis dieses tätig-freien Zustandes eröffnet sich Döbiln neue Möglichkeiten des Handelns. Man könnte hier einen positiven Anlaß zu seiner plötzlichen Naturverehrung vermuten. Denn Buddhas Freiheit ist ihm im doppelten Sinne wertvoll. Sie ist erstens dem Gesellschaftskritiker Döblin als eine neue Norm des gesellschaftlichen Handelns wertvoll, weil man da die grausige "Stachelung von außen“ wie beim Christentum, aber auch nicht den freien Geist von Nietzsche "auf blind vitalem Boden“ nicht mehr braucht.
    Zweitens aber ist sie auch persönlich dem, geknickten‘ Döblin als ein praktisches Prinzip wertvoll, weil man dadurch imstande ist, sich über alltägliche Verhältnisse hinwegsetzend zu handeln: Wenn die niederzerrenden Fesseln fallen, "so erlischt die Kleinheit, Gehässigkeit, Spitzfindigkeit, Leidenschaftlichkeit, Angst, Besorgnis, Langweile. Nicht zu dieser Welt, der Konvention, der falschen historischen, begriffsverdrehten, kehrt man zurück, aber doch zu dieser Welt, man gelangt erst zu dieser Welt.
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  • Über den Tanz als poetologisches Modell bei Nelly Sachs
    Yoko YAMAGUCHI
    1994Volume 93 Pages 114-124
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Der "Tanz“ ist neben der "Musik“ eines der häufigsten Themen in den Dichtungen von Nelly Sachs. Er bedeutet für Sachs nicht nur eines der wichtigsten Motive, sondern auch die ideale Verkörperung der dichterischen Sprache. Das den Tanz thematisierende Gedicht muß zugleich als ein Gedicht über das Gedicht selbst verstanden werden.
    Bei genauer Lektüre der Tanzgedichte zeigt sich zwischen denen der Vor- und denen der Nachkriegszeit ein entscheidender Unterschied. Dieser Bedeutungswechsel des Tanzes entspricht dem Wandel des poetologischen Denkens der Dichterin durch den Krieg. In den vor dem Krieg entstandenen neuromantischen Tanzgedichten meint "Tanz“ die "Tanzmusiken“ traditioneller europäischer Gesellschaftstänze. Diese Tanzmusik symbolisiert die metrische Sprache der herkömmlichen Lyrik.
    Erst seit ihrem Exil 1941 strebt Sachs eine neue dichterische Sprache an. Angesichts des Holocausts verliert die auf der "Vormartyrium-Tradition“ basierende Lyrik ihren Existenzgrund. Das Erkennen der Unmöglichkeit des sprachlichen Ausdrucks führt die Dichterin zum Gedanken des ursprünglichen, übermächtigen Schweigens "hinter“ dem Wort. Hier wird die Bedeutung der Musik umgekehrt. Der Begriff "Lichtmusik“ bedeutet nicht mehr die melodische Sprache der Lyrik, die die Tanzmusik symbolisierte, sondern das unhörbare Schweigen des Kosmos. Anders als in der Vorkriegszeit bezieht sie nun ihre Identität aus der jüdischen Tradition. Der ursprüngliche Kosmos gilt als transzendenter Bereich Gottes. Die göttliche und die menschliche Welt bilden einen dualistischen Gegensatz. Angesichts dessen wird das Gedicht ein Ort der Offenbarung des göttlichen Schweigens=der Lichtmusik durch das Wort des Dichters. Mit diesem Übergang der Musik zur Lichtmusik rückt der Tanz als körperliche Bewegung, der das zwei Bereiche vermittelnde dichterische Wort verkörpert, in den Vordergrund.
    Im Tanz sind der sich bewegende Tänzer als Subjekt und der bewegte Körper als Objekt ununterscheidbar. Durch diese Aufhebung des dualistischen Gegensatzes stellt der körperliche Tanz, im Unterschied zur Tanzmusik, das ideale Modell för die neue dichterische Sprache dar. Kraft seiner sprachlichen Bewegungen schafft das Gedicht seinen eigenen Raum, der als Durchgang von der menschlichen Sprache zum göttlichen Schweigen funktioniert. Dieser Tanz als poetologisches Modell kulminiert im Gedicht "Tänzerin“.
    In diesem Gedicht wird der sprachliche Tanz sowohl durch die Form als auch durch den Inhalt ausgedrückt. Das Gedicht hat keine Metrik mehr. Der komplizierte Satzbau durch Inversionen, Zäsuren usw. zwingt den Leser zur wiederholten Lektüre. Tanz, Empfängnis und Geburt, dichterische Schöpfung und Offenbarung des Lichtes werden als Bewegungen behandelt.
    Der Tanz wird von der Jahrhundertwende bis zum Expressionismus häufig als Modell für die Schöpfung gepriesen. Vaerenbergh sieht in dieser Blüte des Tanzes ein Zeitphänomen, das angesichts des Zerfalls der naturwissenschaftlichen Weltanschauung die Welt neu als "Bewegung“ auffassen möchte. Fellmann begreift diese typische Denkform der Epoche als "entwirklichende Realisierung“, die die "scheinbare“ Wirklichkeit zerstören und dadurch die "wahre“ Wirklichkeit erreichen will.
    Die Eigenschaften des Tanzes bei Nelly Sachs: Bewegung, Überwindung des dualistischen Weltbildes, Wiederschöpfung der Welt durch die Sprache usw. zeigen seine enge Verwandtschaft mit dem Tanzbild jener Epoche.
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  • Shinji WATANABE
    1994Volume 93 Pages 125-135
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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    Das Ziel dieses Aufsatzes liegt darin, die Semantik von kommen zu erörtern und die Bedingungen herauszufinden, unter denen die deiktische Beschränkung von kommen aufgehoben wird. Es wird sich herausstellen, daß die Bedingungen der Aufhebung mit der Semantik zusammenhängen.
    Fillmore (1972) weist darauf hin, daß zur Verwendung von come eine deiktische Bedingung erfüllt sein muß. Rauh (1981) bemerkt anschließend an Fillmore, daß auch kommen die gleiche Beschränkung zeigt. Rauh erwähnt aber ferner in bezug auf die Deixis einen Unterschied zwischen come und kommen; kommen kann, wenn das Ziel im Satz explizit wird, im Gegensatz zu come auch verwendet werden, ohne daß die deiktische Bedingung erfüllt ist. Dies trifft aber nicht immer zu. Denn es gibt Fälle, in denen kommen nicht verwendbar ist, auch wenn das Ziel explizit ist. Das explizite Ziel ist also zur Aufhebung der deiktischen Beschränkung keine ausreichende Bedingung; es muß dafür noch eine andere Bedingung erfüllt sein, auf die Rauh nicht eingeht.
    Anhand der Kollokationsmöglichkeiten wird bestimmt, daß für kommen, gelangen, ankommen [+ERREICHEN] gilt, für fahren [±ERREICHEN], und daß kommen, fahren, gelangen durch [+RICHTUNG], ankommen durch [-RICHTUNG] bestimmt sind.
    In bezug auf das Merkmal, das sich auf die Bewegung bezieht, wird den imperativfähigen Verben das Merkmal [+BEWEGEN] zuerkannt, den nicht imperativfähigen Verben [ø]. fahren und kommen wird also [+BEWEGEN] zuerkannt, während für gelangen und ankommen [ø] gilt. Es gibt aber auch ein durch gelangen ersetzbares kommen, das also wie gelangen [ø] hat. Das bedeutet, daß kommen polysem ist, und ist der Grund dafür, daß die deiktische Beschränkung unter Umständen nicht aufgehoben wird; bei kommen [+BEWEGEN] (hier kommen 1) wird die deiktische Beschränkung nicht aufgehoben, während sie bei kommen mit [ø] (hier kommen 2) aufgehoben wird.
    Es gibt außerdem ein kommen, das weder durch fahren noch durch gelangen ersetzbar ist. Dieses kommen ist durch kein Verb, aber durch die entsprechende Passivkonstruktion ersetzbar. Diesem kommen (hier kommen 3) wird [+BEWEGTWERDEN] zuerkannt. Bei kommen 3 wird die deiktische Beschränkung aufgehoben.
    Das Ergebnis ist wie folgt zusammenzufassen:
    Verben [ERREICHEN] [RICHTUNG] Bewegungsmerkmal Aufhebung der deikt. Beschränkung
    fahren ± + [+BEWEGEN]
    kommen 1 + + [+BEWEGEN] ∗
    gelangen + + [ø]
    kommen 2 + + [ø] OK
    ankommen + - [ø]
    kommen 3 + + [+BEWEGTWERDEN] OK
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  • Yoshiyuki MUROI
    1994Volume 93 Pages 136-144
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 145-147
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 147-149
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 149-152
    Published: October 01, 1994
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 152-154
    Published: October 01, 1994
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 154-157
    Published: October 01, 1994
    Released on J-STAGE: March 28, 2008
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 158-160
    Published: October 01, 1994
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  • [in Japanese]
    1994Volume 93 Pages 160-162
    Published: October 01, 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 226d
    Published: 1994
    Released on J-STAGE: January 30, 2009
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  • 1994Volume 93 Pages 226c
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 226b
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 226a
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299g
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299h
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299i
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299j
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  • 1994Volume 93 Pages 299k
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299l
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299m
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299c
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299b
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299a
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299d
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299e
    Published: 1994
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  • 1994Volume 93 Pages 299f
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