Die vorliegende Abhandlung stellt einen Versuch dar, vom ausgehenden 18. Jahrhundert zum beginnenden 19. damit eine Brücke zu schlagen, daß wir annehmen, Herder, der Kant-Gegner, habe in Schlegel, dem Anhänger Fichtes, einen legitimen Erben gefunden.
Mit seinen beiden Kant-Kritiken, der
"Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft“ und
"Kalligone“ als Metakritik zur
"Kritik der Urteilskraft“, versuchte Herder, die-wie er meinte-Unfruchtbarkeit, Unmenschlichkeit oder gar Krankhaftigkeit des Kant-Fichteschen Transzendentalidealismus (
"Transzendentalinfluenza“, wie es in
"Kalligone“ heißt) zu diagnostizieren und mit verschiedenen symptomatologischen Bemerkungen die gesamte Bewegung der kritischen Philosophie, dieses
"der Vernunft und der Sprache ebenso unkritisch als unphilosophisch aufgedrängte Satzungspapsttum“, als eine Art fin de siécle-Situation zu charakterisieren (
"Abgrund unergründlicher Anschauungen, eines ewig-Begrifflosen Mystizismus“), während Schlegel in derselben Zeiterscheinung eine revolutionäre Energie spürte, die ein neues
"Menschenalter“ hervorbringen werde. Die Zeit sei reif für
"eine wichtige Revolution der ästhetischen Bildung“, und er halte die Französische Revolution für eine
"vortreliche Allegorie auf das System des transzendentalen Idealismus“.
Gemäß der Grundverschiedenheit ihrer Positionen wäre zu erwarten, daß Schlegel für Herder auch ein
"dialektischer oder gar Revolutionsrabulist nach kritischem Schlage“ (
"Metakritik“) wäre und eben zu jenen
"brausenden Jünglingen“ gehörte, die
"jetzt Alles so dichte(ten), absolut notwendig, allgültig, transcendental, kritisch“ (
"Kalligone“) und somit in keiner Weise dazu geeignet wäre, Herders Erbe anzutreten.
Und doch gibt es in ihrer Gedankenwelt eine enge Verwandtschaft. Wenn man Schlegels Hauptgedanken in ihrer Entwicklung von dem Athenaeum-Aufsatz
"Rede über die Mythologie“ bis zu den Kölner Vorlesungen (
"Die Entwicklung der Philosophie in 12 Büchern“ und
"Propädeutik und Logik“) verfolgt und insgesamt systematisch zu erfassen versucht, so stößt man fast überall, gleichsam unter der Oberfläche transzendental-idealistischer Landschaften, auf die Erzader der Herderschen Gedankenwelt.
Herders Kosmogonie beruht auf einer Synthese aus Spinozas Gedanken einer absoluten Einheit des Ur-Einen und der Leibnizschen Konzeption von der unendlichen Fülle und Mannigfaltigkeit der Monaden. Im
"Spinoza-Gespräch“ entwirft er sein eigenes
"Monadenpoem“, das aus der als
"die Urkraft aller Kräfte“ aufgefaßten Gottheit entspringe, wobei jede Monade, von dieser
"substanziellen“ Kraft durchdrungen, die Hülle ihrer Idealität abwerfe und sich ein Fenster schaffe, durch das allererst eine wirkliche Wechselwirkung, eine Kommunikation von allem und jedem ermöglicht werde. Das Universum ist für Herder die Gesamtheit aller organischen Entwicklung der ewig werdenden Gottheit, welche,
"durch das Weltall verschlungen“,
"die ewige Wurzel vom unermeßlichen Baum des Lebens“ sei. Und dieses Universum selbst besteht aus der Mannigfaltikeit und Fülle unendlich vieler Monaden mit geöffneten Fenstern. Diesem ganz realistisch reorganisierten Monaden-Begriff gibt Herder die neue Bezeichnung:
"DASEIN“. Damit ist nichts anderes gemeint als eine Bestimmung gemäß der Leibnizschen
"Monadologie“,
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